Myosotella myosotis
Myosotella myosotis
   
  Weichtier des Jahres 2008  
 
Das Mäuseöhrchen Myosotella myosotis (DRAPARNAUD 1801)

 
   
 

Als Weichtier des Jahres 2008 wurde eine Schnecke der küstennahen Salzwiesen ausgewählt, um auf diesen gefährdeten Lebensraum mit extremen Umweltbedingungen aufmerksam zu machen und die Besonderheiten der an ihn angepassten Weichtiere vorzustellen. Die Salzwiesen der deutschen Küsten sind ein weltweit einzigartiger Lebensraum, der nach Naturschutzgesetzen des Bundes und der Bundesländer, sowie nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union geschützt ist. Das Mäuseöhrchen ist in Deutschland auf diesen speziellen Lebensraum beschränkt.

Das zugespitzt-eiförmige rechtsgewundene Gehäuse der erwachsenen Mäuseöhrchen-Schnecken ist 5-11 mm hoch und bis zu 5 mm breit. Seine Färbung ist einheitlich braun. Die Gehäuseöffnung (Mündung) ist ebenfalls zugespitzt-eiförmig, die Spindel (der Mündungsteil an der Gehäuseachse) hat zwei Falten, die spiralig in das Innere des Gehäuses hineinlaufen. Das Gehäuse hat 6 bis 8 Umgänge, wobei die oberen Windungen nur wenig konvex und durch eine flache Naht getrennt sind. Alle Umgänge erscheinen mit bloßem Auge glatt, unter hoher Vergrößerung wird sichtbar, dass die oberen Windungen unterhalb des glatten Embryonalgewindes einige gepunktete Spirallinien und eine Reihe von kurzen Haaren aufweisen.

Der Mündungsrand ist nach innen als sogenannte Lippe verdickt und nach außen ein wenig krempenartig erweitert. In Gebieten mit hohem Salzgehalt (z.B. Nordsee) ist das Gehäuse dickschaliger, größer und langgestreckter als in Brackwasserbereichen (z.B. Flussmündungen oder Ostsee).

 
   
 

Der Tierkörper ist beigefarben bis hellgrau, meist auf der Oberseite des Vorderkörpers und im Bereich der Fühler etwas dunkler. Die kleinen dunklen Augen sitzen an der Fühlerbasis, zur Mitte des Körpers gerichtet. Dadurch unterscheidet sich diese Schneckenfamilie (Küstenschnecken, Ellobiidae) von den meisten Kiemenschnecken, deren Augen fast immer an der Körperaußenseite der Fühlerbasis sitzen, sowie von den meisten anderen Land-Lungenschnecken, deren Augen wie allbekannt am Ende der Fühler sitzen. Das Mäuseöhrchen besitzt nur zwei Fühler, während fast alle höher entwickelten Land-Lungenschnecken neben den zwei Augenfühlern noch ein Paar kleiner Taster (also „Fühler“ im eigentlichen Sinne) im unteren Bereich des Kopfes aufweisen.

Mäuseöhrchen leben vor allem im Grasbereich der Salzwiesen direkt an der Küste. Sie bewohnen den Schlammboden zwischen den Pflanzen, sitzen unter Treibholz, unter Steinen oder an angespültem Tang.

 
   
 

Beliebte Lebensräume sind die Ränder kleiner Gewässer in der Salzwiese. Die Tiere leben dort gern unter überhängenden Grasbüscheln. Sie bevorzugen wenig bewirtschaftete Flächen mit höherer Salzwiesenvegetation, z.B. mit Strand-Aster (Aster tripolium), Strand-Beifuß (Artemisia maritima) oder Strandflieder (Limonium vulgare). Zur Erhaltung dieser Pflanzen und damit der Mäuseöhrchenpopulation darf die Beweidung nur sehr extensiv erfolgen.

In Europa leben Mäuseöhrchen von Großbritannien und Dänemark bis ins Mittelmeer und Schwarze Meer. Die Art wurde außerdem nach Nordamerika und Jamaica verschleppt. In Deutschland sind die Salzwiesen der Nord- und Ostsee besiedelt, mit mehreren Fundgebieten an der schleswig-holsteinischen Ostsee und dem östlichsten Fundgebiet mit Lebendnachweisen in der Wismar-Bucht in Mecklenburg-Vorpommern.

Bezüglich des Salzgehalts sind Mäuseöhrchen recht tolerant. In den wechselfeuchten Überschwemmungsbereichen treten oft Konzentrationen auf, die viel höher sind als der Salzgehalt des umgebenden Wassers (Nordseewasser enthält ca. 3,5 % Salz). Mäuseöhrchen ertragen über längere Zeit Werte zwischen 0,9 % und 9,9 %. Als optimaler Salzgehalt für Wachstum und Eiproduktion wurde 1,8 % festgestellt.

Mäuseöhrchen ernähren sich von Kieselalgen, sowie organischen Resten (Detritus) auf und im Schlick. Ihren Kalkbedarf zum Gehäuseaufbau decken die Tiere durch Benagen von leeren Krebspanzern, Schneckengehäusen und Kalkgehäusen von Einzellern. Die Nahrung wird von den Mäuseöhrchen mit der Raspelzunge (Radula) im schneckenüblichen Zickzackmuster vom Grund abgeraspelt. Dieses Muster entsteht durch die pendelnden Kopfbewegungen der Schnecke beim Fressen. Die Radula des Mäuseöhrchens besteht aus vielen Zahnreihen, wobei jede Reihe aus einem Mittelzahn und beidseitig ca. 10 Seitenzähnchen und 20 Randzähnchen aufgebaut ist.

 
   
 

Wie fast alle Organismen scheidet auch das Mäuseöhrchen die unverdaulichen Reste der Nahrung wieder aus. Sein Kot ist im Lebensraum auffällig, denn er sieht aus wie eine große Anzahl winziger Würmer aus Sand. Mäuseöhrchen geben Kot-Stränge ab, auf trockenem Untergrund nur in kurzen Abschnitten, auf feuchtem Untergrund als 2-6 mm langer Strang. Bei Störungen kann der komplette Darm und Magen in einer über 20 mm langen Kotschnur geleert werden.

Im Gegensatz zu manchen anderen heimischen Schneckenarten ist das Mäuseöhrchen vermutlich aufgrund seines ungewöhnlichen Lebensraumes recht gut erforscht. Deshalb reicht der Platz dieses Informationsblattes nicht für alle Details. Es soll aber noch auf einige Besonderheiten der Lebensweise genauer eingegangen werden:

Die Tiere werden 3-4 Jahre alt. Sie sind Zwitter, jedes Tier hat also männliche und weibliche Geschlechtsorgane. Allerdings werden zuerst die männlichen Organe funktionsfähig und die Tiere in der Natur meist mit etwa eineinhalb Jahren als Männchen geschlechtsreif. Die weiblichen Organe funktionieren mit zwei Jahren, so dass ganz erwachsene Tiere sich dann als Weibchen und Männchen paaren können. Bei der meist im April/Mai und August/September stattfindenden Paarung (s. Zeichnung links) fungiert normalerweise ein Tier als Weibchen (nimmt Spermien auf) und eines als Männchen (gibt Spermien ab).

 
   
 

Es wurden auch Paarungen beobachtet, bei denen noch ein drittes Tier beteiligt war, so dass das mittlere der Tiere sowohl als Weibchen als auch als Männchen agierte. Die Paarung kann mehrere Stunden dauern.

Meist im Mai oder Juni legen die Mäuseöhrchen auf feuchten Stellen am Boden oder in kleinen Erdspalten ein gelatinöses Eipaket (s. Zeichnung mitte) aus 25-30 (selten bis zu 80 oder nur 15) Eiern ab. Teilweise graben die Tiere zur Eiablage auch 10-15 mm tiefe Höhlen. Eipakete werden oft von mehreren Tieren nebeneinander abgelegt. Die Entwicklungsdauer der Embryonen im Ei ist sehr von der Temperatur der Umgebung abhängig. Es wurden Entwicklungszeiten von 3-7 Wochen festgestellt.

Die Larven (s. Zeichnung rechts) entwickeln sich komplett im Ei, zeigen aber noch alle Merkmale ihres gemeinsamen Meeresursprungs mit den Hinterkiemer-Schnecken wie verkehrt (links) gewundene Larvalschale, Segellappen (Velum), gefärbte Manteldrüse und Gehäusedeckel (Operculum).
Unter optimalen Laborbedingungen wurden Mäuseöhrchen schon 8 Wochen nach dem Schlüpfen mit ca. 5 mm Gehäuselänge geschlechtsreif.
Zur Überwinterung verstecken sich die Mäuseöhrchen meist in kleinen Gruppen in Überwinterungshöhlen im Boden. Sie kriechen dazu oft an den Pflanzenstängeln hinab bis in den unterirdisch gelegenen Wurzelbereich.